Können Smartwatches Herzprobleme erkennen?

Smartphones können ein gutes Hilfsmittel sein, um gefährliche Herzprobleme zu erkennen, hat eine große Studie gezeigt. Können auch Smartwatches, die kontinuierlich am Arm getragen werden, eine Diagnose-Unterstützung sein?

Von Kerstin Kropac


Bildquelle (Bild oben): iStock / Giuseppe Lombardo

Eine große Studie hat bewiesen, dass das Smartphone dabei helfen kann, gefährliche Herzprobleme zu erkennen. In der Untersuchung mit mehr als 5.500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die im Mittel 65 Jahre alt waren, zeigte sich, dass auch ältere Menschen sehr gut mit der Technik umgehen können – entgegen manchen Vermutungen. Haben auch Smartwatches das Zeug dazu? Und wo liegen derzeit noch deren Grenzen?

Welche Herzprobleme lassen sich mit dem Smartphone aufspüren?

In der sogenannten eBrave-Studie, die federführend an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität durchgeführt wurde, erhielt eine Hälfte der Probandinnen und Probanden die in Deutschland übliche medizinische Standardversorgung. Die zweite Gruppe sollte sechs Monate lang regelmäßig die Medizin-App „Heartbeats“ von Preventicus auf dem Smartphone benutzen. Damit lässt sich der Herzrhythmus prüfen, indem man für eine Minute den Finger auf die Kameralinse des Smartphones legt.

Das Ergebnis der Studie: Durch die Benutzung der App konnten doppelt so viele Patienten aufgespürt werden, die unter einem behandlungsbedürftigen Vorhofflimmern litten, als man normalerweise entdeckt hätte – bei den üblichen Arztterminen oder Vorsorgeuntersuchungen. „Das ist sehr wichtig“, sagt Prof. David Duncker, Leitender Oberarzt an der Medizinischen Hochschule Hannover. „Wird das Vorhofflimmern zur rechten Zeit detektiert, kann man frühzeitig das Blut des Patienten verdünnen – und ihn so vor einem Schlaganfall schützen.“

Die meisten spüren, wenn ihr Herz auffällige Extraschläge macht – und gehen zum Arzt oder zur Ärztin. Aber ein erheblicher Teil, etwa 30 bis 40 Prozent der Betroffenen, bemerkt das Vorhofflimmern nicht. „Bei diesen Patientinnen und Patienten wird diese Diagnose dann nicht gestellt und dementsprechend eine möglicherweise lebensrettende Therapie nicht begonnen“, erklärt Prof. Duncker.

Wie gefährlich ist Vorhofflimmern?

„Vorhofflimmern ist verantwortlich für viele Folgeerkrankungen, unter anderem für Schlaganfälle“, sagt Prof. Duncker. „20 bis 30 Prozent aller Schlaganfälle sind durch Vorhofflimmern bedingt.“ Patientinnen und Patienten, die unter dieser Herzrhythmusstörung leiden und womöglich noch weitere Risikofaktoren haben, würde man dringend eine Blutverdünnung empfehlen, um sie vor einem Schlaganfall zu schützen. „Wenn die Menschen aber nichts von ihrem Vorhofflimmern wissen, laufen sie ungeschützt durch die Welt. Und das kann gefährlich werden“, sagt der Kardiologe.

Welche Hinweise kann eine Smartwatch zur Herzgesundheit liefern?

Bei den aktuellen Smartwatch-Modellen sind vor allem zwei unterschiedliche Technologien in der Anwendung.

 

  • Das EKG: „Es gibt Smartwatches, an die Sie Ihren Finger halten und dann schreiben sie ein echtes 1-Kanal-EKG. Das ist extrem akkurat“, sagt Prof. Duncker.
  • Die Puls-Messung: Die sogenannte Photoplethysmographie, kurz PPG, funktioniert über eine Leuchtdiode an der Unterseite der Smartwatch. Sie misst Farbänderungen in der Haut. Das heißt: Je nachdem, wie die Haut durchblutet wird, verändert sich der Rot-Ton – so kann die Pulswelle angezeigt werden. Nach dem gleichen Prinzip läuft auch die Pulsmessung per Handykamera.

Die PPG kann einen unregelmäßigen Puls sehr zuverlässig feststellen. Allerdings gibt es unterschiedliche Ursachen für einen unregelmäßigen Puls. „Einer – und sicherlich der häufigste – ist das Vorhofflimmern“, erklärt der Kardiologe. „Es könnten aber auch Extraschläge auftreten, die kein Vorhofflimmern sind. Das kann die PPG nicht unterscheiden. Deshalb muss die Diagnose anhand eines EKGs bestätigt werden. Wenn man direkt das EKG aufzeichnet, kann man auch anhand dieses EKGs die Diagnose stellen. Das ist der entscheidende Unterschied.“

Nehmen Kardiologinnen und Kardiologen die Ergebnisse einer Smartwatch überhaupt ernst?

Schon heute unterstützen die sogenannten Wearables, also Computertechnologien, die man am Körper tragen kann, viele Herzpatientinnen und -patienten. Zum Beispiel beim anfallsartig auftretenden Vorhofflimmern. „Da kostet die herkömmliche Diagnosestellung viele Betroffene ganz schön Nerven. Vor allem, wenn sie nur alle paar Tage Herzrasen haben – und das EKG beim Arzt dann einen normalen Rhythmus zeigt“, sagt Prof. Duncker. „Als Arzt muss ich verstehen: Anscheinend haben wir es hier mit einer anfallsartigen Rhythmusstörung zu tun. Das EKG zeigt dann nicht, dass der Betroffene nichts hat, sondern nur, dass er in dem Moment keine Arrhythmie hat.“ Es erleichtere daher für die Ärztin oder den Arzt die Diagnose, wenn man diesen Menschen sagen könne: „Zeichnen Sie beim nächsten Herzrasen bitte mit Ihrer Uhr ein EKG auf.“

Prof. David Duncker Prof. David Duncker, Leiter des Hannover Herzrhythmus Centrums und Leitender Oberarzt Rhythmologie an der Klinik für Kardiologie und Angiologie an der Medizinischen Hochschule Hannover. Bildquelle: MHH-Kardiologie

Können solche Geräte von älteren Menschen leicht bedient werden?

„Ich glaube, dass über die kommenden Jahre der Anteil der Menschen, die kein Smartphone besitzen, immer geringer werden wird“, sagt Prof. Duncker. „Zumindest sehe ich hier in unserer Warteecke zunehmend über 80-Jährige mit ihrem Smartphone sitzen.“ Und auch die erwähnte Studie hat gezeigt: Das Durchschnittsalter der Studienteilnehmer war 65 – und keiner hatte Schwierigkeiten, das Gerät zu bedienen. Ganz im Gegenteil: Die Älteren haben es sogar gewissenhafter genutzt als die Jüngeren. „Wir haben selbst schon mit diesen smarten Geräten eine Studie durchgeführt und gesehen, dass Alter kein begrenzender Faktor zu sein scheint. Viele über 80-Jährige haben das sehr gut gehandhabt. Das bestätigen auch viele andere Untersuchungen“, sagt der Kardiologe.

Wie häufig sollte man mit Smartphone oder Smartwatch die Herzwerte messen?

„Den besten Zeitraum und die beste Häufigkeit kennen wir leider noch nicht“, sagt Prof. Duncker. „Aber es gibt dazu eine wichtige schwedische Studie, die Strokestop-Studie, bei der die gesamte Population der 75- und 76-Jährigen in Stockholm und Umgebung beobachtet wurde.“ Eine Hälfte der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zeichnete zwei Wochen lang zweimal am Tag ein 1-Kanal-EKG auf und wurde dann – im Falle von Auffälligkeiten – entsprechend behandelt. Schon nach diesem relativ kurzen Untersuchungszeitraum sah man ein paar Jahre später einen signifikanten Unterschied: In der überwachten Gruppe gab es weniger Todesfälle, Schlaganfälle und Blutungen. „Deshalb empfehle ich auch meinen Patientinnen und Patienten, die danach fragen: Für zwei Wochen zweimal am Tag eine Messung. Und wenn man dabei nichts findet, kann man es nach zwei Jahren wiederholen“, sagt der Herzexperte.

Lassen sich Risikofaktoren wie Bluthochdruck per Smartphone oder Smartwatch entdecken?

Der Bluthochdruck ist eine Erkrankung, die man häufig nicht spürt, das heißt: Die Patientin oder der Patient geht oft erst dann mit Beschwerden in eine Klinik oder Arztpraxis, wenn eine Folge des Bluthochdrucks eingetreten ist – zum Beispiel ein Schlaganfall oder ein Herzinfarkt. Um einen Bluthochdruck festzustellen, gibt es bislang lediglich die herkömmlichen Blutdruckmessgeräte für zu Hause. „Es gibt auch erste Versuche, beispielsweise über eine Analyse des Gesichts den Blutdruck per Smartphone zu messen“, sagt Prof. Duncker. „Das ist aber bislang nicht alltagstauglich, und das würde ich im Moment auch nicht empfehlen.“

Lassen sich Herzinfarkte erkennen?

Wenn man das Gefühl hat, man hätte einen Herzinfarkt – also dumpfe, drückende Schmerzen in der Brust, Ausstrahlung in den linken Arm oder in den Rücken und Kaltschweißigkeit – dann muss man sofort den Notarzt rufen! „Ich habe schon erlebt, dass Betroffene verzögert angerufen haben, weil sie dachten, sie warten noch die nächste Messung mit der Uhr ab“, berichtet Prof. Duncker. „Aber beim Herzinfarkt zählt jede Minute. Das heißt, man muss die Patientinnen und Patienten informieren, dass Sie zwar ihr Vorhofflimmern messen können, man muss ihnen aber auch erklären, dass ein Herzinfarkt sofort in Hände eines Notarztes gehört.“

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